
Harald Loch von der traditionsreichen Buchhandlung “Der Zauberberg” in Friedenau, Bundesallee 133, beschreibt, wie “sein” Stadtquartier von dem autogerechten Ausbau der Bundesallee zerschnitten und jegliche Flanierqualität zerstört ist. Der Autor ist im Jahr 1941 in der Görresstraße geboren und hat viele Jahre seines Lebens in diesem Teil Friedenaus gelebt und gearbeitet. Harald Loch begrüßt die Zukunftswerkstatt zum Bundesplatz am 12./13. Oktober und 23./24. November 2013 und hofft, dass sie zu einem Umdenken führt.
Ein Tunnel zerschneidet einen Stadtteil
Der Tunnel unter dem Bundesplatz erleichtert und verstärkt den Autoverkehr zwischen der City West und Steglitz bzw. der Stadtautobahn über die Schmiljanstraße zur Auffahrt Saarstraße. Damit ist die historische Stadtanlage von Friedenau in ihrer Längsachse im Wesentlichen unkenntlich gemacht. Der Tunnel teilt die Ost- von der Westhälfte dieser Friedenauer Stadtanlage zwischen Südwestkorso und Bache- bzw. Kundrystraße. Der starke Autoverkehr teilt die beiden Hälften von Friedenau auch südlich der Tunnelöffnung bis über den Friedrich-Wilhelm-Platz hinaus, er teilt die Schmiljanstraße bis zur Kaisereiche und darüber hinaus noch die Saarstraße bis zur Autobahnauffahrt. Die Fußgängerampel in Höhe der Bachestraße schaltet in einer den Autoverkehr stark begünstigenden Weise so langsam, dass man diesen Überweg scheut oder – noch schlimmer – die Ampel missachtet. Erst in Höhe der Sarrazin- bzw. Görresstraße befindet sich die nächste Ampel, die nicht nur nach Bedarf für den Fußgänger geschaltet ist. Die Ableitung des Hauptteils des Verkehrs durch die Schmiljanstraße in Richtung Kaisereiche erfolgt ohne Respekt vor der ursprünglich symmetrischen Straßenanlage Friedenaus. Diese Verkehrsführung hat für die Bundesallee zwischen Bundesplatz und Friedrich-Wilhelm-Platz und für die Seitenstraßen katastrophale Auswirkungen:
Einstmals lud die Bundesallee Fußgänger zum Flanieren oder zum Geschäftsbummel ein. Heute ist wegen des Tunnels die Geschäftslage zwischen der Stadtautobahn- bzw. S‑Bahn-Brücke und dem Übergang Bache- bzw. Kundrystraße so wenig attraktiv, dass die meisten Läden leer stehen und vom kleinen Einzelhandel gemieden werden. Einige der einstmals attraktiven Läden stehen seit Jahren leer oder werden in rascher Folge wieder aufgegeben. Hier entstand so etwas wie ein Einzelhandels-Prekariat. Die Vermietbarkeit der Ladengeschäfte ist stark eingeschränkt. Die Tatsache, dass kein funktionierender Einzelhandel auf diesem Teil der Bundesalle mehr existiert, führt dazu, dass der Fußgängerverkehr beiderseits des Tunnels nahezu zum Erliegen gekommen ist. Die Geschäftsbrache beiderseits des Tunnels führt zu einem erliegen der Stadtdurchlässigkeit für Fußgänger in Nord->Süd-Richtung. Von Süden her ist an der Tunneleinfahrt Schluss mit dem Fußgängerverkehr, weil der Weg beiderseits des Tunnels so unattraktiv ist. Da ein Überqueren der Bundesallee in Höhe des Tunnels überhaupt nicht mehr möglich ist, leiden auch die Geschäftslagen auch in den Seitenstraßen unter einer Halbierung des Einzugsgebietes. Der Tunnel zerschneidet auf der Friedenauer Seite den Stadtteil sowohl in Nord-Süd-Richtung als auch in Ost-West-Richtung in vier Segmente, die für sich kaum lebensfähig in einem urbanen Verständnis sind.
Die desolate Geschäftslage spiegelt auch die Situation der Wohnbevölkerung wider. Abgesehen von den Umweltbelastungen, die ein so starker Autoverkehr mit sich bringt, ist die Zerteilung des Stadtteils für alle Fußgänger besonders hinderlich. Das gilt für Kinder wie für alte Menschen besonders. Der Einzugsbereich der Ruppin-Grundschule in der Offenbacher Straße erstreckt sich auch auf östlich der Bundesallee gelegene Teile Friedenaus. Das auf der Westseite gelegene Ärztehaus (die frühere Rheingau-Klinik) und auch die Apotheke Ecke Bachestraße werden auch von den Bewohnern östlich der Bundesallee unter den erschwerten Bedingungen aufgesucht, die ihnen der Tunnel und die verkehrsreiche Bundesallee auferlegen. Der Weg zum Breslauer Platz und zur Rheinstraße mit seinem Markt und seinen nicht nur den täglichen Bedarf versorgenden Geschäften ist für die Bewohner des westlichen Teils von Friedenau erschwert und unattraktiv. Die Folgen liegen auf der Hand: die Autofahrer unter den Bewohnern nutzen ihr Fahrzeug auch für Einkäufe und Besorgungen, die sie normalerweise zu Fuß erledigen würden. Diejenigen, die nicht mit Auto einkaufen fahren wollen, leiden unter den Erschwernissen des Tunnels bzw. des Auto-Durchgangs-Verkehrs auf der Bundesallee.
Die ursprünglich besonders übersichtliche Stadtanlage Friedenaus ist so gründlich zerstört, dass Menschen umherirren und in den verbliebenen Geschäften nach dem Weg fragen. Erschwerend kommt die missglückte Konstruktion des Umsteigebahnhofs Bundesplatz hinzu, der ganz offensichtlich für viele Ortsunkundige Rätsel nach dem richtigen Ausgang und der Orientierung aufgibt. Täglich fragen Menschen in den Geschäften zwischen dem südlichen Tunnelausgang und dem Friedrich-Wilhelm-Platz z.B. nach der Hildegardstraße, die ja doch deutlich nördlich vom Bundesplatz liegt. Man muss diese manchmal eiligen Menschen dann wieder zurückschicken. Die Tatsache, dass die Hausnummerierung in der Bundesallee sowohl vom Friedrich-Wilhelm-Platz als auch vom Bundesplatz unterbrochen wird, führt dazu, dass täglich Menschen nach der Lage von Häusern rätseln, die jenseits dieser beiden Plätze liegen. Dieses Problem könnte mit verhältnismäßig einfachen Mitteln behoben werden. Es zeigt jedoch, dass an Fußgänger, die ja in der Regel ohne Navigationsgerät unterwegs sind, zu wenig gedacht wird. Diese Vernachlässigung der Interessen der Fußgänger im Kleinen entspricht der Rücksichtslosigkeit, mit der der Fußgängerverkehr aus einem einstmals vorbildlich geplanten Stadtteil verbannt worden ist.
Als letztes sei auf die unerfreuliche Attraktivität des Tunnels für viele Motorradfahrer verwiesen. Der Widerhall der auf Lautstärke getunten Motoren und Auspuffanlagen von Motorrädern verführt viele ihrer Fahrer, bereits vor den jeweiligen Einfahrten aufs Äußerste zu beschleunigen, um im Tunnel dann in den „Hörgenuss“ ihres Fahrzeugs gelangen. Das ist nicht nur lebensgefährlich sondern führt auch zu unerträglichen Lärmbelastungen während der immerhin neunmonatigen Motorrad-Saison.